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23. März 2017

Wiebke Freese: Die Bergpredigt



Wie gesagt, die Kontingenz des Lebens ist gar kein allzu großes Problem, anstatt anzufangen, an Gott zu glauben, könnte man sich auch schlicht sagen: Shit happens.

Selbstverständlich braucht jeder Mensch eine Beschäftigung, aber der Zusammenhang zwischen Unerfülltheit und Religion ist kein hergestellter, sondern ein geradezu tautologischer:
Wenn mir alles um mich herum nichts bedeutet, bedeutet mir offenbar etwas noch nicht Vorhandenes alles.
Religion ist also schlicht die Bejahung des sich gegenwärtig nicht einfügenden Lebens im Vertrauen auf die höhere Weisheit und Gewalt der sich entfaltenden Zeit, eine Bejahung, welche sich nicht gegen die Beliebigkeit des eigenen Lebens richtet, sondern gegen seine Vergewaltigung, nicht die Kontingenz ist der Feind, sondern der materielle Determinismus.

Jesus ist ein Vorbild für den Glauben an Gott:
Solches habe ich zu euch durch Sprichwörter geredet. Es kommt aber die Zeit, daß ich nicht mehr durch Sprichwörter mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An dem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum daß ihr mich liebet und glaubet, daß ich von Gott ausgegangen bin.
Er will von uns erreicht werden, wir sollen seine Brüder sein, ihm ebenbürtig auf unsere Weise und in unserer Rolle, welche nicht die seine ist, und dazu gehört gleichzeitig mehr als zu träumen und weniger als ihn zum Gott zu erheben.

Jesu Nachfolge ist nicht die Aufhebung der Kontingenz des Lebens, sondern die Entfaltung der menschlichen Würde:
Es ist gut, Sinn im eigenen Leben zu sehen, aber besser, Gott hinreichend gut zu gefallen, um ihn bitten zu dürfen.
 (Ich erklärte Ansprechbarkeit zum Zeichen der Würde. Der tiefere Sinn ist wohl der, daß, wer selber nicht ansprechbar ist, gewiß auch nicht Gott ansprechen darf.)

Zu den Seligpreisungen. Jesus erklärt keineswegs gesellschaftlich Ausgeschlossene zu Vorbildern. Was er sagt ist folgendes:
Allzu leicht vergessen die Stützen der Gesellschaft Gott, aber Gott seinerseits vergißt die gesellschaftlich Ausgeschlossenen nicht.
Nietzsche ist in nichts zuzustimmen. In rein gar nichts. Ein Mann, welcher vor einer alten Mähre zusammenbricht, will auch nicht, daß man ihm auch nur in irgendetwas zustimmt. Gut, das ist übertrieben, aber die Richtung stimmt schon. Freilich ermahnt Jesus Menschen dazu, alles hinter sich zu lassen und ihm zu folgen, aber das hat rein gar nichts mit gesellschaftlich Ausgeschlossenen zu tun und alles mit der eingangs erwähnten Disposition religiöser Menschen.

Das Weitestgehende, was man in dieser Angelegenheit sagen kann, ist erstens, daß der wahrhaft um das Menschliche Bemühte so betrübt über den Zustand der Menschen ist, daß die Gründe, welche zu gesellschaftlichem Ausschluß führen, für ihn oftmals vergleichsweise wenig wiegen, so wie man sich auf dem Schlachtfeld im Nachhinein fragen mag, wozu die am Boden Liegenden eigentlich gefallen sind, und zweitens, daß derjenige, welcher eine Schuld empfindet, gewöhnlich den brennenden Wunsch verspürt, sie wettzumachen, wohingegen der Stolze oftmals in Gleichgültigkeit verfällt, was eben die subjektive Seite des dieser Erklärung vorstehenden Spruchs ist.

Aber dieses beides hebt andererseits das Gesetz nicht auf, daß Menschen nur den Frieden mit einander schließen können, welcher ihnen selbst gerecht erscheint, weshalb selbst Jesus noch fragte, ob nicht doch jemand ohne Sünde anwesend sei. Es ist kein guter Einfall, andere in den Sumpf der eigenen Sünden hineinziehen zu wollen, wie die Geschichte des Ablaßhandels ja auch eindrucksvoll gezeigt hat.

Und in bezug auf die Offenbarung... nun, der Unterschied ist, daß die Sünde ungeschminkt als Sünde regiert, ungeschminkt wenigstens für diejenigen, welche nicht verloren sind, daß es kein Abwägen geben wird, sondern nur Durchbeißen, und daß die Steinigung dieses Mal tatsächlich die Reinen von den Unreinen scheidet, aber nicht auf einen Schlag, sondern in drei Etappen.

Es ist ein wenig abartig, aber es stimmt schon, daß die totale Verderbtnis in sofern ein Segen ist, als sie doch vielen vergleichsweise kleinen Sündern die Gelegenheit geben wird, an den Steinigungen teilzunehmen. Und man täusche sich nicht: Dies ist der einzige Weg zur wiedergewonnenen Weisheit, ohne welche es keinen Neuanfang gibt.

Ich dränge nicht auf dieses Programm, einzig auf den Fall des bereits Gefallenen, denn wer kann es wiederaufrichten, bevor die Menschen nicht zur Einsicht gekommen sind, heute, da es sich Unzählige in Verkehrung und Ungerechtigkeit gemütlich gemacht haben. Wer seinen Grund und Boden halten kann, der muß es tun, aber die übrigen müssen die Kaskade der gegenwärtigen und künftigen Übel erklimmen.

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