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18. Januar 2010

Über die Alltagsbilder der vier Bewußtseinsformen

Im vorigen Kapitel unterschied ich die Gesinnungen nach dem Ort des Auftretens der Motive, ob sie in der Anschauung liegen oder in der begrifflichen Erfassung oder im in der Welt Sein als solchem, wobei letzteres sich nicht durch den Gebrauch eines gesonderten Vermögens auszeichnet, sondern dadurch, das eigene Tun zu erfassen, womit man natürlich anfangen muß, um überhaupt einen Gegenstand zu haben, auf welchen sich die eigene Motivation beziehen kann. Allerdings ist das schon sehr früh der Fall, wenngleich dort das eigene Tun zunächst als Ohnmächtigkeit definiert ist, welche es zu überwinden gilt. Das Gewissen ist dabei nur ein kleiner Teil und dient rein negativen Zwecken, weshalb es bei der Unterscheidung der Gesinnungen auch keine Rolle spielt.

Das eigene Tun ist natürlich ein konkret gegebenes Objekt, liegt aber nicht auf dieselbe Weise in der Anschauung, wie es die üblichen konkret gegebenen Objekte tun, was man freilich auch von den sozialen Beziehungen sagen kann, welche in ihrer Realität noch konstruierter sind, deren Vorhandensein aber in geringerem Maße von der eigenen Aktivität abhängt. In allen Fällen gibt es Idealbilder, welche sich auf ihre Objekte beziehen, und in allen Fällen sind diese Idealbilder sowohl begrifflich als auch anschaulich, allerdings im ersten stets direkt begrifflich, während im heroischen Falle die meisten Idealbilder auf begriffliche Konstrukte gehen, welchen nur zu einem kleinen, aber fundamentalen Teil, anschauliches Erleben zu Grunde liegt, etwa wenn Fragen der Gerechtigkeit betroffen sind. Die Idealbilder beschreiben Verhältnisse an Beispielen, welche es zu erlangen gilt. Im Falle der indirekten Bilder sieht das so aus, daß ein die Dinge Geordnetwissen zum Beispiel wird, wobei die Idealität der Ordnung sich nicht in ihrem Objekt zeigt, sondern nur von oben her verständlich ist. Es ist der Trieb zur Ordnung, welcher sich dort entspricht. Daher kommt es dann auch, daß zwei Menschen dieselbe Ordnung erleben und sie unabhängig von ihrer beiden Wesen, einzig aufgrund unterschiedlicher Deutung dieser Ordnung, ganz unterschiedlich bewerten können, während die direkt abgebildete Schönheit von allen erkannt wird.

Im philosophischen Falle schließlich liegt es nahe, dasselbe vom Verhalten eines einzelnen Menschen zu sagen, daß es auch von der Deutung abhängt, ob es seinem Ideal genügt oder nicht, denn schließlich gibt es hier überhaupt kein Tun, in welchem sich die Idealität direkt zeigen würde. Das ist aber nicht so, denn hier gibt es einen Ersatz für die sich direkt zeigende Idealität, nämlich den eigenen Seelenfrieden, das eigene Ertragen des eigenen Verhaltens, welches sich ja wieder im eigenen Tun zeigt, also daß man zaghaft bei allen seinen Verrichtungen wird und dergleichen. Wenngleich hier also auch die Idealität willkürlich in der Luft zu hängen scheint, wird sie doch auf unbewußte Weise durch das eigene Wesen gestützt bis schließlich der Punkt erreicht ist, an dem man versteht, was das eigene Wesen ist und in welchen Taten es sich ausdrückt.

Nach dieser Rekapitulation, welche zur Vermeidung folgender Verwirrungen nicht unwichtig gewesen sein dürfte, werde ich nun also zu den vier verschiedenen Bewußtseinsformen übergehen, welche ich zuvor durch ihre Abschlußpunkte charakterisiert hatte.

Zunächst haben wir dort denjenigen, welcher die Welt als das versteht, was sie zu sein scheint, mit anderen Worten deutet und begreift er sie wohl, ist sich dessen aber nicht bewußt. Er zeichnet sich durch emotionale Involviertheit aus und durch seine auf konkrete Veränderungen und Unterschiede gerichtete Aufmerksamkeit. Es ist dies ein Typus, welcher heroisch gesinnt zumeist recht froh durch's Leben geht, materialistisch gesinnt oft streitet und philosophisch gesinnt ruhig bis betrübt ist.

Als zweites haben wir denjenigen, welcher sich der Bedeutung von Ordnungen und Leitgedanken bewußt ist, allerdings ohne sich der Macht der Begriffe bewußt zu sein. Dieser ist oftmals fanatisch und rücksichtslos, außerdem auf unangenehme Weise beschränkt, uneinsichtig und ein ausgesprochener Träumer und Phantast, welcher wohl in seiner Begeisterung auch mitzureißen vermag. Es ist dies ein Typus, welcher heroisch gesinnt zur Politik neigt und dort zur aristokratisch-militanten Sorte, zumeist reaktionär genannt, welches indes ein historisch zufälliger Begriff ist. Materialistisch gesinnt ist er für gewöhnlich in seinem Element und äußerst produktiv, und philosophisch gesinnt ist er zerfahren und unstet.

Als drittes haben wir denjenigen, welcher um die Macht des Fortschritts und der Begriffe weiß, allerdings ohne sie auf endgültige Ziele zu beziehen. Der nun ist offen und neugierig, zugleich biegsam und sachlich. Es ist dies ein Typus, welcher heroisch gesinnt zumindest in Ansätzen zur Hochstapelei und/oder zum Absolutismus neigt, materialistisch gesinnt, wiederum in Ansätzen, zur Eigenbrötlerei und philosophisch gesinnt zum getriebenen Genius.

Und als viertes haben wir schließlich denjenigen, welcher all dies in bewußten Bezug auf sein Wesen setzt. Dieser ist gefestigt, gelassen, unerschrocken und unnachgiebig. Es ist dies ein Typus, welcher heroisch gesinnt ein Selbstdarsteller mit Vorbildfunktion ist. Materialistisch gesinnt ist er staatsmännisch bedacht und philosophisch gesinnt ist er... ein Fremder.

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2. Januar 2010

Über die Alltagsbilder der drei Gesinnungen

Meine bisherige Behandlung der drei Gesinnungen, also der materialistischen, der heroischen und der philosophischen, welche sich so auch schon bei Platon finden, wenngleich dort etwas anders in bezug gesetzt als bei mir, ist im wesentlichen abstrakt gehalten, ohne das Bedürfnis sie zu veranschaulichen, welches ich nun allerdings verspüre, und zwar zu dem Zweck an Wesensgemälde diverser Autoren anzuknüpfen, und sie auf diese Weise auf ihren wahren Kern zurückzuführen.

Beginnen wir mit der materialistischen Gesinnung. Die Verhaltensweise eines materialistisch gesinnten Menschen zeichnet sich dadurch aus, daß er zuvörderst darauf achtet, in welchem Verhältnis er zu seiner Umwelt, meistens natürlich anderen Menschen, da ja kaum einer heutzutage isoliert lebt, steht und seine Gedanken sich fast ausschließlich darum drehen, wie er in Verhältnisse eintreten kann, in welchen er gerne stehen würde und wie er es zu Stande bringt, auch weiterhin in Verhältnissen zu stehen, welche ihm gerade gefallen. Dabei legt er großen Wert auf Erscheinung und besitzt ein großes Talent zu raschen Entschlüssen und Handlungen, allerdings zu Lasten seiner Fähigkeit langfristig zu planen, welches bei ihm darauf hinausläuft, so lange wie möglich an geschätzten Verhältnissen festzuhalten.

Die Denkweise eines materialistisch Gesinnten ist eher auf Verstand als auf Vernunft gebaut (gemäß Schopenhauers Terminologie), er besitzt oftmals ein großes Interesse an für ihn außergewöhnlichen Phänomenen und ist gut darin, viele Details solcher Phänomene auf einen Schlag festzuhalten und sie vorläufig zu ordnen. Seine Begrifflichkeit ist allerdings zumeist kurz, geht also meistens auf unmittelbare Zusammenhänge, und er hat auch kein ihm innewohnendes Interesse an der Ästhetik von Begriffsgebäuden, sondern ist dem Nutzen als leitendem Architekturprinzip verpflichtet. Schönheit liegt für ihn in der Anschauung und im Haben, nicht dahinter.

Das Spektrum materialistisch Gesinnter reicht von sehr primitiven Naturen bis hin zum Idealtypus des abgeklärten, überlegenen Verkörperers menschlicher Güte und Größe.

Nun zur heroischen Gesinnung. Die Verhaltensweise eines heroisch gesinnten Menschen zeichnet sich dadurch aus, daß er zuvörderst darauf achtet, Ehrbegriffen, welche er besitzt, zu entsprechen. Dabei ist er in der Lage eine gigantische Anzahl von Regeln und Konsequenzen zu beachten und fällt entsprechend durch seine Umsicht auf, ebenso wie auch durch seine lange Entwicklungszeit, da er sich in der Regel ein umfangreiches Programm vorgibt. Leider ist diese Fähigkeit zur Befolgung umfangreicher Regeln zumeist mit einer erschreckenden Unfähigkeit, ihren Sinn zu bewerten, verbunden.

Die Denkweise eines heroisch Gesinnten ist hochgradig ästhetisch zu nennen, er folgt in seiner begrifflichen Arbeit einem diffusen Gefühl für Ordnung und Schönheit und benutzt fast ausschließlich seine Vernunft und nicht seinen Verstand. Entsprechend ist sein ganzes Urteilen nichts anderes als ein Abspulen von Definitionen und entsprechend anfällig ist er für neurolinguistische Programmierung. Schönheit ist für ihn letztlich ein gemeinsam gelebter Wahn.

Wenn heroisch Gesinnte in relativer Einsamkeit leben, entwickeln sie zumeist eine unnatürliche Sammelwut und den Wunsch sich durch ihre gesammelten Habseligkeiten mitzuteilen. Letztlich geht die gesamte russische Gartenkultur darauf zurück; in England ist es auch nicht anders, nur weniger einleuchtend, wobei der Fehler darin liegt zu denken, daß man in einer Stadt nicht einsam sein könnte. Ich hätte also auch Briefmarkensammler anführen können.

Und schließlich zur philosophischen Gesinnung. Die Verhaltensweise eines philosophisch gesinnten Menschen zeichnet sich dadurch aus, daß er zuvörderst darum bemüht ist, den Widerspruch der eigenen Existenz aufzulösen. Dabei ähnelt er in seiner begrifflichen Arbeit dem heroisch Gesinnten, welche Ähnlichkeit er wohl manches Mal zu leugnen geneigt ist, unterscheidet sich aber von jenem darin, daß er ein wiederkehrendes Bedürfnis zur begrifflichen Reduktion verspürt, also das eigene Begriffsgebäude abzureißen, um es geläutert wiederauferstehen zu lassen. Die größte Schwäche des philosophisch Gesinnten besteht in eben dieser Unfähigkeit auszuharren, darin, daß er unfähig ist, in der Zeit zu existieren und er ganz eigentlich am liebsten in einem einzigen Augenblick zusammenflösse.

Die Denkweise eines philosophisch Gesinnten ist wesentlich reflektiv und zu einem großen Teil unbewußt, in sofern die Wiederauferstehung der vormaligen Einsichten außerhalb jedes Bewußtsseins liegt. Letztlich aber erreicht sie einen Grad, an welchem sie beginnt sich zu genügen und versteift sich dann zusehends, dabei zugleich subjektiv an Relevanz verlierend, wie eine letzte abgeworfene Haut.

Schopenhauer spekulierte auf einen Zusammenhang zwischen Breitköpfigkeit und materialistischer Gesinnung, im Gegensatz zu Langköpfigkeit und heroischer Gesinnung. Der mag bestehen und paßt auch gut zu dem, was ich bezüglich der Evolution des Menschen geschrieben habe, also dazu, daß die heroische Gesinnung aus Südostasien schließlich während des Neolithikums in Europa eintraf. Es ist jenseits allen Zweifels klar, daß die materialistische Gesinnung älter als die heroische ist, und daß die heroische Gesinnung in Reinform eine immense Gefahr für eine Gemeinschaft darstellt, während die materialistische Gesinnung wie gesagt lediglich indirekt über Machtkämpfe und langfristige Inflexibilität das Wohl einer Gemeinschaft gefährdet.

Daß hingegen die philosophische Gesinnung die älteste ist, ist doch eine sehr gewagte These, welche allenfalls durch die Betrachtung der mit ihr assoziierten Form der Religiösität gestützt werden kann, denn jene ist in der Tat die älteste, nur mag es so sein, daß die materialistisch Gesinnten sich anfangs in religiösen Fragen zurückgehalten haben, sie also unbestimmt ließen. Und dies ist auch am wahrscheinlichsten, also daß es eine Protogesinnung gab, welche in praktischen Belangen materialistisch zu nennen wäre, allerdings ohne vollständig entwickelte eigene Ästhetik und Selbstbild, denn aus dieser Offenheit heraus entspringt von ganz alleine die Wahrheit. Wahrscheinlich handelt es sich bei den philosophisch Gesinnten schlicht um Fälle der Wiedererlangung jener Offenheit, bedingt vielleicht durch eine Unentschlossenheit der materialistischen und heroischen Anteile. Und so wie man den Taoismus als Bändigung einer übermäßig heroischen Bevölkerung verstehen kann, handelt es sich bei den semitischen Hochreligionen um Zügelungen übermäßig materialistisch gesinnter Bevölkerungen, was sich insbesondere am Bildverbot festmachen läßt, wobei im Falle des Christentums mehr die Kirche als die Schrift davon betroffen ist, welche philosophisch zu nennen ist.

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